Auf einen Blick
(Nosokomiale) Infektionen sind eine zunehmende und bereits lang bekannte Herausforderung für die langzeitstationäre Pflege. Pflegeheime sind dabei nicht nur in Extremsituationen (z. B. COVID-19-Pandemie), sondern wiederkehrend (z. B. Norovirus-Ausbruch, MRSA) vor die Herausforderungen gestellt, ein Bündel an Infektionsschutzmaßnahmen anzuwenden. Dabei sind u. a. das An-/Ablegen der persönlichen Schutzausstattung und die mangelnde Desinfektion bestimmter Handflächen neuralgische Punkte, an denen Infektionsverschleppungen auftreten können. Gleichzeitig können Unsicherheiten beim Personal in der Umsetzung von Hygienestandards bestehen, insbesondere wenn die verschärften Schutzmaßnahmen über einen längeren Zeitraum nicht angewandt werden mussten, enormer Arbeitsdruck herrscht oder aber sich u. U. Routinen manifestiert haben, die mit Nachlässigkeiten verbunden sein können.
Um Pflegefachpersonen mit den lokalen Hygienestandards vertraut zu machen, sind das Onboarding und die Hygieneunterweisungen wesentliche Eckpfeiler. Dabei ist jedoch das Onboarding von ausländischen Pflegefachpersonen, die zunehmend für die Arbeit in der langzeitstationären Pflege in Baden-Württemberg angeworben werden, häufig mit Sprachbarrieren behaftet. Um diesen neuen Mitarbeitenden die Einarbeitung in die Hygienestandards in der Einrichtung vor Ort zu erleichtern, soll die Anwendung beispielhaft auch in eine der häufig gesprochenen Fremdsprachen des Pflegeteams des Praxispartners übersetzt werden. Zugleich dient die Anwendung jedoch auch Berufsrückkehrenden, frisch examinierten Fachkräften oder der in der Pandemiezeit in Baden-Württemberg initiierten „Pflegereserve“ dazu, sich im eigenen Tempo wieder in die aktuellen Hygienestandards einzuarbeiten. Zudem lässt sich die Anwendung gut in Hygieneunterweisungen des Stammpersonals integrieren.
Da parallel zu diesem Vorhaben beim Kooperationspartner, der Stiftung Liebenau, damit begonnen wird, eine elektronische Pflegedokumentation in den Einrichtungen der langzeitstationären Pflege einzuführen, soll ferner geprüft werden, inwiefern die Datenbrille mit ihrer Sensorik Pflegefachpersonen bei Dokumentationstätigkeiten unterstützen kann.
Anwendungsszenarien
Im Mittelpunkt des Vorhabens steht die Co-Creation gemeinsam mit Pflegefachpersonen. Das bedeutet, dass die Anwendung gemeinsam mit und für die Praxis entwickelt wird und die späteren Nutzer*innen von Anfang an in die Entwicklung und Umsetzung der Anwendung einbezogen sind. Hierzu finden mehrere Co-Creations-Workshops und Zwischentestungen statt, in denen einzelne Entwicklungsschritte getestet und gemeinsam weiterentwickelt werden.
Im Vorfeld des Projektes wurden in der Zusammenarbeit von Leitungs- und Führungskräften des Praxispartners mit den Wissenschaftler*innen der Hochschule folgende zwei Szenarien als praxisrelevant identifiziert:
Onboarding neuer Mitarbeiter*innen und Hygieneunterweisungen
In diesem edukativen Szenario sollen Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Durchführung von Hygienemaßnahmen digital aufbereitet werden. Grundlage hierfür sind die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der World Health Organization (z. B. 5 Moments for Hand Hygiene, 6-Step Hand Hygiene) sowie die einrichtungsspezifischen Hygienestandards und Schulungsunterlagen des Kooperationspartners. Die Händedesinfektion kann beispielsweise durch einen Countdown sowie Einblendungen von häufig schlecht desinfizierten Handstellen verbessert werden. Durch das Tragen der Datenbrille haben die Pflegefachpersonen bei der Anwendung jederzeit beide Hände frei und können damit alle Handlungsschritte parallel ausüben.
Digitale Unterstützung im Pflegeprozess
Die Datenbrille soll perspektivisch auch in die pflegerische Versorgung der Bewohnenden integriert werden können. Neben den unter a) genannten Schritt-für-Schritt Anleitungen bei Hygienemaßnahmen, die dann die reale pflegerische Versorgung unterstützen, soll in diesem Szenario untersucht werden, welche zusätzlichen Informationen im Bewohner*innenzimmer benötigt werden. Wesentlich ist auch die Schnittstelle zur elektronischen Pflegedokumentation. Dabei stellt sich die Frage, wie und ob die Datenbrille die Pflegefachpersonen von Dokumentationstätigkeiten entlasten kann, indem z. B. über Sprachbefehle die Dokumentation von Tätigkeiten erfolgt. Neben der Co-Creation wird in einem ganztägigen ethischen Workshop gemeinsam über die Anwendung reflektiert, z. B. deren mögliche Folgen auf die Kommunikation zwischen Pflegefachpersonal und den Bewohnenden. Zu diesem Termin wird zusätzlich der Heimbeirat als gewähltes Organ der Bewohner*innen eingeladen und kann die Bedarfe und Bedürfnisse aus Bewohner*innensicht beisteuern. Auch diese Erkenntnisse fließen in die Anwendungsentwicklung ein.
Gerahmt werden die gemeinsamen Workshops und die Zwischentestungen von einer Bedarfserhebung in der Projektanfangsphase sowie einer summativen Evaluation in Anwendungssimulationen zu Projektende.
Das Projekt wird von der Forschungsgruppe Human Computer Interaction des Instituts für Digitalen Wandel unter Leitung von Prof. Markus Lauterbach sowie dem Institut für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung unter Leitung von Prof. Dr. Maik H.-J. Winter gemeinsam mit der Stiftung Liebenau als Praxispartner durchgeführt. MoVe-P wird finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.
Projektpartner
Stiftung Liebenau |