Kooperation von Wissenschaft und Praxis
MECKENBEUREN/EHNINGEN – Altenhilfe trifft Zukunftstechnologie: Im Haus der Pflege Magdalena erprobt die Stiftung Liebenau den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Pflege. In einem groß angelegten Kooperationsprojekt wurde der humanoide Roboter Pepper speziell für den Einsatz in der Pflege programmiert und soll nun in der Praxis zeigen, was er kann.
Gymnastik mit Pepper
Erwartungsvoll blicken die Teilnehmerinnen der Gymnastikrunde auf den Neuzugang. „Guten Morgen, ich hoffe, Sie haben alle gut geschlafen“, begrüßt sie Pepper mit einem Zwinkern seiner großen kugelrunden Augen. Noch haben die betagten Zuhörerinnen sichtlich Mühe, ihn zu verstehen. Betreuungsleiterin Ruth Track springt ein und wiederholt. Im Lauf der Stunde spielt sich die Zusammenarbeit ein. Pepper sagt Übungen an, motiviert und lobt die Teilnehmerinnen: „Arme nach oben strecken und fallen lassen, soweit es geht, dann ausschütteln. Ich sehe schon, Sie machen das nicht zum ersten Mal!“ Zum Abschied winkt er und dreht sich dabei im Kreis. „Es war mir eine Ehre mit ihnen gelacht, getanzt und Gymnastik gemacht zu haben.“
Komplexe Programmierung
Noch kann der Roboter nicht alle Bewegungen selbst vormachen. Schließlich muss jeder Schritt programmiert werden. Diese Aufgabe hat die RWU Hochschule Ravensburg-Weingarten übernommen – nicht einfach unter Coronabedingungen. „Ein Programm für einem Roboter zu entwickeln, ist selbst unter normalen Umständen keine leichte Aufgabe. Nun mussten die Studierenden die meiste Zeit mit einem Simulator arbeiten und konnten viele Teile ihrer Entwicklungen erst Wochen später auf dem echten Roboter testen“, erläutert Benjamin Staehle, stellvertretender Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz an der RWU. Trotzdem ist er froh über die Möglichkeiten, die das Projekt für die Hochschule bietet: „Kooperationen wie diese ermöglichen unseren Studierenden einen praxisnahen Einstieg in ein hochkomplexes Themenfeld und leisten nebenbei einen Betrag zum Gemeinwohl in herausfordernden Zeiten.“
Interdisziplinäre Kooperation
Den Sinn der Kooperation bekräftigt auch Dr. Markus Nachbaur, Vorstand Stiftung Liebenau. „Bewusst hatten wir uns zu Beginn des Projekts dafür entschieden, keine vorgefertigten Programme zu erwerben, sondern mit einer neuen Programmierung von Grund auf eng an unseren Praxisbedürfnissen entlang zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit der RWU macht es für beide Seiten möglich, kurzfristig und passgenau auf Entwicklungen und Erfahrungen zu reagieren.“ Besonderen Charme hat für ihn auch der Gedanke, dass hier zukünftige IT-Experten etwas für ältere Menschen entwickeln, denen diese Technologie zunächst fremd ist: „Eine Kooperation nicht nur der Fachdisziplinen, sondern auch eine der Generationen.“
Zukunftsweisende Spende
Dass Pepper angeschafft werden konnte, ist der Stiftung der Württembergischen Gemeinde-Versicherung a.G. (WGV-Stiftung) zu verdanken, die mit einer großzügigen Spende in Höhe von 10.000 Euro den Kauf ermöglicht hat. „Wir freuen uns, dass Pepper nun seine Arbeit aufnehmen kann. Trotz der erschwerten Bedingungen konnte Pepper in diesem wissenschaftlich und technisch anspruchsvollen Projekt erfolgreich so ausgebildet werden, dass der humanoide Roboter die Pflegearbeit vielfältig unterstützen kann – ein beeindruckender Schritt in Richtung Zukunft“, sagt Dr. Klaus Brachmann, Vorstandsvorsitzender der WGV-Gruppe.
Technik ersetzt nicht das Zwischenmenschliche
Dass Pepper die Arbeit der Pflegekräfte sinnvoll ergänzen kann, sieht die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), die in verschiedenen Digitalisierungsprojekten mit der Stiftung Liebenau zusammenarbeitet. „Technische Assistenzsysteme sollen zur Verbesserung der aktuellen Arbeitsbedingungen beitragen und damit auch die Stress- und Belastungssituation der Pflege- und Betreuungskräfte entlasten“, sagt Ralf Köhnlein, Koordinator für gesundheitspolitische Kooperationen bei der BGW.
Dabei habe in der Arbeit mit Menschen immer das Zwischenmenschliche Vorrang, sagt Dr. Alexander Lahl, Geschäftsführer der Pflegeunternehmen in der Stiftung Liebenau. Technische Assistenzsysteme würden nur unterstützend eingesetzt, um individuelle Selbstständigkeit zu fördern und den Alltag möglicherweise zu erleichtern. „Nur im Gespräch, in einer Berührung, in Gesten, bei Austausch und Nähe entstehen Wohlbefinden und ein würdiges Altern. Technik kann in der Pflege also nie ersetzen, sondern immer nur ergänzen und unterstützen. Aber immerhin, dies kann sie und dies wollen wir mit Pepper austesten.“
Die Ausbildung geht weiter
Den Teilnehmerinnen gefällt es, und auch Hausleiter Julian Krüger freut sich über die neuen Impulse, die mit Pepper ins Haus kommen. „Ein freudiger Roboter, der präsent ist, ist immer mehr wert als die Situation, dass niemand vor Ort ist, der oder die mit einem spricht. Ein gesagtes Wort, ob menschlich oder mechanisch, nimmt mehr Raum ein als die Stille beim Alleinsein.“ Gern beteiligt er sich an Peppers weiterer „Ausbildung“. Ab April soll der Roboter zurück an die Hochschule, um neue gymnastische Übungen zu lernen und Personen direkt ansprechen zu können. Und sie zum Beispiel ans regelmäßige Trinken oder – in Corona-Zeiten besonders wichtig – ans Händewaschen erinnern.